Mobbing

Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht

 

Seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom (BGH, Urteil vom 25.5.1954, BGHZ 13, 334 ff) ist anerkannt, daß das durch Art. 1 und 2 GG geschützte Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit den Bürger nicht nur gegen Eingriffe der Staatsgewalt schützt, sondern auch ein bürgerlich-rechtliches von jedermann im Privatrechtsverkehr zu achtendes Recht ist und den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB genießt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Anerkennung der Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht beanstandet und entschieden, daß die in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wertordnung auch auf das Privatrecht einwirkt. Diese Wertordnung gelte als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts. Das Wertsystem der Grundrechte finde seinen Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde. Im Bereich des Privatrechts diene die Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor allem im Bereich der privaten Sphäre des Menschen dazu, die im Laufe der Zeit immer fühlbarer werdenden verbliebenen Lücken im Persönlichkeitsschutz auszufüllen (BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973, NJW 1973 S. 1221 ff).

Das durch Art. 1 und 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im beruflichen Bereich zu beachten (BAG, ständige Rspr., z.B. Urteile vom 29.10.1997, NZA 1998 S. 307 ff; 4.4.1990, NZA 1990 S. 933 f; 15.7.1987, NZA 1988 S. 53 ff; 8.2.1984, NZA 1984 S. 225 f; Blomeyer in Münchener Handbuch Arbeitsrecht, 2. Aufl. Bd. 1, § 97; ErfK-Dieterich, Art. 2 GG Rn. 77 ff jeweils mit weiteren Nachweisen).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht bloß deliktisch nach § 823 Abs. 1 BGB gegenüber jedermann also auch gegenüber Mitarbeitern geschützt, sondern auch Gegenstand der mit dem Arbeitsvertrag verbundenen (Neben-)pflichten.


Verletzt der Arbeitgeber innerhalb des Arbeitsverhältnisses das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so liegt darin zugleich ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten (BAG, Urteil vom 4.4.1990). Soweit konkrete vertragliche Regelungen fehlen, bestimmen sich die gegenseitigen Rücksichts-, Schutz- und Förderpflichten nach § 242 BGB (ErfK-Dietrich a.a.O. Rn 80).

 

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder außenstehende Dritte, auf die er einen (vertraglichen) Einfluß hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann im Arbeitsverhältnis Unterlassungs- und Handlungspflichten auslösen.

Zur Einhaltung dieser Pflichten kann der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterläßt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, daß eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird.

 

Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht hat der Arbeitnehmer entsprechend den §§ 12, 862, 1004 BGB bei drohender Verletzungsgefahr einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch (BAG, Urteil vom 8.2.1984) und bei bereits eingetretener Persönlichkeitsrechtsverletzung einen Anspruch auf Beseitigung von fortwirkenden Beeinträchtigungen und auf Unterlassung weiterer Eingriffe (BAG, Urteil vom 15.7.1987).

 

Wenn es zur Beseitigung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung erforderlich und angemessen ist, kann auch die Zurückbehaltung der Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB in Betracht kommen (BAG, Urteil vom 7.6.1973, DB 1973 S. 1605; ErfK-Dieterich a.a.O. Rn 82).

 

Besteht die Persönlichkeitsrechtsverletzung in der trotz ungekündigtem Arbeitsverhältnis nicht erfolgenden Beschäftigung des Arbeitnehmers, hat dieser nach §§ 611, 242 BGB hierauf einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch (BAG, Großer Senat, Urteil vom 27.2.1985, NZA 1985 S. 702 ff; Urteil vom 23.11.1988 - 5 AZR 663/87 -; Urteil vom 10.11.1955.

Eine Versetzung kann den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Arbeitnehmers betreffen. Die Grenzen des Persönlichkeitsrechtes werden durch die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit bestimmt.

Mit der Entscheidung des Großen Senats vom 27.2.1985 zur Weiterbeschäftigung während des Kündigungsprozesses  hat das Bundesarbeitsgerichts auch seine bereits vorangegangene Rechtsprechung zu dem in Rechtsfortbildung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist angenommenen arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch bestätigt.


Das Leben des Arbeitnehmers wird zu einem ganz wesentlichen Teil durch das Arbeitsverhältnis bestimmt und geprägt. Sein Selbstwertgefühl sowie die Achtung und Wertschätzung, die er in seiner Familie, bei seinen Freunden und Kollegen und überhaupt in seinem Lebenskreis erfahre, werden entscheidend von der Art mitbestimmt, wie er seine Arbeit leiste. Die Arbeit in seinem Arbeitsverhältnis stelle für den Arbeitnehmer zugleich eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten und damit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit dar.

Wird dem Arbeitnehmer diese Möglichkeit der Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeitsleistung im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses genommen, so berühre dies seine Würde als Mensch. Der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch beruhe unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers.
Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, daß eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausscheidet, wenn bei dem betroffenen Arbeitnehmer noch irgend eine Tätigkeit verbleibt.

Mit dieser Frage hat sich die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts nicht befasst.

 

Das mit den vom Bundesarbeitsgericht genannten Inhalten umschriebene allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers kann jedoch in weitaus stärkerem Maße als bei dem durch Kündigung oder Suspendierung eintretenden Wegfall der Beschäftigung betroffen sein, wenn der Arbeitgeber, statt dem Arbeitnehmer die Arbeit wegzunehmen, diesem Tätigkeiten auferlegt, die arbeitsvertraglich nicht geschuldet sind.

 

In der Arbeitswelt sind zunehmend Tendenzen erkennbar, die mit arbeitgeberseitigen Kündigungen verbundenen Risiken dadurch zu umgehen, den jeweiligen Arbeitnehmer dazu zu bringen, seinen Arbeitsplatz selbst aufzugeben. Eine solche Vorgehensweise scheint von einer wachsenden Zahl von Arbeitgebern insbesondere dann als lohnend angesehen zu werden, wenn es um die mit hohem Kostenrisiko verbundene Beendigung des Arbeitsverhältnisses von leitenden Mitarbeitern geht oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kündigungsrechtlich nicht oder nur schwer begründbar ist.

 

In den Fällen, in denen der Totalentzug der Beschäftigung oder die Zuweisung einer bestimmten Beschäftigung nicht bloß  Reflex einer rechtlich erlaubten Vorgehensweise darstellt, sondern zielgerichtet als Mittel der Zermürbung eines Arbeitnehmers eingesetzt wird, um diesen selbst zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bringen, kann eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen.

 

Maßstab für die Beurteilung einer im Beschäftigungsentzug liegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung bildet deshalb die berufliche Stellung des Arbeitnehmers, so wie sie im Arbeitsvertrag festgelegt ist oder wie sie die Parteien in Übereinstimmung praktiziert haben. Kann der Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrages Ort, Zeit und Inhalt der Arbeitsleistung durch Ausübung seines Direktionsrechts bestimmen, kommt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nur bei ermessensfehlerhafter Ausübung des Direktionsrechts in Betracht.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im privaten Rechtsverkehr nicht unbeschränkt gewährleistet. Eingriffe in dieses Recht können durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen gerechtfertigt sein. Im Einzelfall bedarf es daher einer Güter- und Interessenabwägung, um zu klären, ob dem Persönlichkeitsrecht gleichwertige und schutzwürdige Interessen des anderen gegenüberstehen oder ob es diese Interessen überwiegt (BAG, Urteile vom 4.4.1999 a.a.0., 15.7.1987 a.a.O., 8.2.1984 a.a.O.). Weil in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich ein Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung besteht, obliegt es dem Arbeitgeber, Umstände darzulegen und diese im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen sich ergibt, daß das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hinter überwiegenden Interessen des Arbeitgebers zurücktreten muß. Allein die Übertragung der Aufgaben des betroffenen Arbeitnehmers auf andere Mitarbeiter begründet kein überwiegendes Interesse an dessen Nichtbeschäftigung (LAG München, Urteil vom 19.2.1992). Auch Eignungs- und Leistungsmängel reichen hierzu nicht aus (LAG Chemnitz, Urteil vom 8.3.1996 a.a.O.).

Ein überwiegendes Arbeitgeberinteresse kann beim Wegfall der Vertrauensgrundlage, bei Auftragsmangel oder bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen, aber auch bei Unmöglichkeit der beanspruchten Beschäftigung vorliegen.

Ausführlich dazu LAG Thüringen Az.: 5 Sa 403/00